LiMux-Aus: München erklärt neue Mail-Software für geheim

Die Stadt München beginnt im Oktober mit der Umstellung auf eine neue Groupware, zunächst wird das Mailsystem renoviert. Offenbar kommt aber nicht der Open-Source-Ausschreibungsgewinner Kolab zum Einsatz, sondern Microsoft Exchange.

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Linux-Betriebssystem für Kommunen

Maskottchen LiMux vor dem Münchner Rathaus

(Bild: dpa, Peter Kneffel)

Lesezeit: 6 Min.
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Seit vielen Jahren warten die Mitarbeiter der Münchner Stadtverwaltung auf ein integriertes E-Mail- und Kalendersystem. Im Oktober will der IT-Dienstleister der Landeshauptstadt IT@M nun endlich damit beginnen, eine entsprechende Groupware einzuführen und in einem ersten Schritt den bisherigen Open-Source-Mailclient Thunderbird auf eine neue Plattform umstellen. Im Anschluss soll auch die sich derzeit noch im Einsatz befindliche Kalenderlösung von Oracle ausgetauscht werden. Dies geht aus einer "Projektbeschreibung" hervor, die heise online vorliegt.

LiMux - Linux in der Stadtverwaltung München

"Die bisherigen Anwendungen sind seit etwa 15 Jahren bei der Landeshauptstadt München im Einsatz und werden von den Herstellern nicht mehr weiterentwickelt und nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr betreut", heißt es in der entsprechenden elektronischen Notiz. Von einem Support-Aus für Thunderbird kann zwar keine Rede sein. Dennoch ist in der Projektskizze zu lesen, dass bei den in München bislang verwendeten Lösungen "vermehrt Fehler auftreten, die nicht mehr behoben werden können". Zudem seien getrennte Programme für E-Post und Terminverwaltung "heute nicht mehr zeitgemäß".

Die neue Groupware solle daher künftig an rund 16.000 Büroarbeitsplätzen für circa 40.000 städtische Arbeitskräfte einheitlich zur Verfügung stehen, versprechen die Koordinatoren des Projekts "MigMak", was für "Migration Mail- und Kalender-System" steht. Seit über drei Jahren hat IT@M zusammen mit Partnern daran gearbeitet. Auf eine öffentliche Ausschreibung hin hatte im Februar 2014 ein Dreierkonsortium den Zuschlag erhalten, das aus dem lokalen Systemhaus ESG, dem Bremer E-Learning-Unternehmen Szenaris sowie dem Schweizer Groupware-Spezialisten Kolab Systems bestand. Der Auftrag lautete, das damalige Open-Source-Vorzeigeprojekt LiMux mit einer integrierten Mail- und Kalenderlösung auszustatten.

Im Herbst 2014 erklärte der Münchner IT-Beauftragte Robert Kotulek noch gegenüber c't, dass Thunderbird und der Oracle-Kalender im Jahr 2015 durch ein neues System auf Basis von Kolab ersetzt würden. Fast parallel meldete Kolab-Gründer Georg Greve größere Fortschritte bei der Lösung. Der Desktop-Client werde mit einem damals geplanten LiMux-Update einsatzbereit sein. Es sollte dem Vernehmen nach aber noch gut zwei Jahre dauern, bis zunächst die Mail-Software die Tests bestanden hatte und in der Fläche zur Verfügung stand.

Dazwischen kam nicht nur der immer lauter werdende Unmut in der neuen Rathausspitze gegenüber LiMux, das beim Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und seinem Vize Josef Schmid (CSU) rasch in Ungnade gefallen war. Im Februar stimmte der Münchner Stadtrat mit seiner schwarz-roten Mehrheit zudem prinzipiell dafür, bis Ende 2020 einen neuen Windows-Basis-Client für die Verwaltung zu entwickeln und die vorhandene Open-Source-Alternative auszumustern. Für die IT-Dienstleister war das offenbar ein Wink mit dem Zaunpfahl, auch von der quelloffenen Groupware Abstand zu nehmen und bei MigMak entgegen bisheriger Kriterien auf die Microsoft-Lösung Exchange umzusatteln.

Der IT@M-Leiter Karl-Heinz Schneider hatte nach ersten entsprechenden Gerüchten im April gegenüber heise online allgemein ausgeführt, dass "für die Ablösung der Serverseite alle Produkte betrachtet werden, die die Größe und Anforderungsvielfalt der Landeshauptstadt München unterstützen können". Dazu gehöre auch das einschlägige Microsoft-System Exchange, das mit Outlook zusammenspielt.

Auf eine aktuelle Nachfrage, welches Programm nun im Oktober ausgerollt werde, bat Schneider um Verständnis dafür, "dass wir zu Produkten, die bei uns im Einsatz sind, keine Auskunft geben". Dies gelte "ganz besonders für alle Komponenten, die in sicherheitsrelevanten Aufgaben eingesetzt werden, wozu auch unser E-Mail-System zählt". Mit der Linux-Windows-Diskussion habe dies nichts zu tun.

Bildschirmfoto der Projektpräsentation

Mit anderen Worten: Die neue Groupware-Lösung soll geheim bleiben, um angeblich Hackern weniger Angriffsfläche zu bieten. Sicherheitsexperten halten von solchen Verschleierungsversuchen freilich wenig, da damit kein Vertrauen geschaffen werden könne. Die Grünen im Stadtrat wollten zudem schon im Juni nach den ersten WannaCry-Attacken vom Oberbürgermeister wissen, wie sich die IT-Gefährdungslage verändere, wenn die Stadt eine Rückkehr zu Microsoft-Produkten auf den Weg bringe. 2014 hatte die Rathausspitze eingeräumt, "dass im Microsoft-Umfeld ein höheres Potenzial für Bedrohungen" bestehe als bei freier Software.

Vieles spricht dafür, dass es sich bei dem nun angekündigten, offiziell nicht näher bezeichneten Mail- und Kalendersystem um Microsoft Exchange handelt. Ein Bildschirmfoto der einschlägigen Projektpräsentation weist im Design haargenaue Ähnlichkeiten mit der Lösung der Redmonder auf. Aus dem Verwaltungsumfeld erfuhr heise online zudem, dass die Entscheidung für Exchange schon vor einigen Monaten gefallen sei und jetzt rasch Nägel mit Köpfen gemacht würden.

Sollte dem so sein, käme neben Kostenaspekten vor allem die Frage auf, wieso IT@M den ursprünglichen Anforderungskatalog für MigMak anscheinend größtenteils verworfen, trotzdem aber keine neue öffentliche Ausschreibung durchgeführt und die ursprünglichen Gewinner abgesägt hat. Damit könnten die Münchner Probleme etwa mit der EU-Wettbewerbsbehörde bekommen.

Der Präsident der Free Software Foundation Europe (FSFE), Matthias Kirschner, ist auf jeden Fall besorgt. "In der Stadtratsitzung im Februar hat Oberbürgermeister Reiter noch gesagt, dass die Rückmigration nur geprüft werden soll", erklärte er gegenüber heise online. Es sei vereinbart worden, dass der Stadtrat letztlich die Entscheidung nach einer bislang ausstehenden Kostenprüfung fällen werde. "Nach den uns vorliegenden Informationen werden allerdings schon konkrete Fakten geschaffen, sodass die Abstimmung im Stadtrat zu einer reinen Farce degradiert wird", meint Kirschner. "So ein Verhalten ist natürlich Wind auf die Mühlen von Demokratiegegnern." (kbe)